Eine Online-Krankschreibung ohne Arztkontakt erschüttert den Beweiswert. Das LAG Hamm geht in einem konkreten Fall von Täuschung aus und hält die fristlose Kündigung für wirksam (Az.: 14 SLa 145/25).
Das Wichtigste in Kürze
- Tatbestand: Ein IT-Consultant legte eine online erworbene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ohne Arztgespräch vor und wurde fristlos gekündigt.
- Kernaussage: Das LAG Hamm sah den Beweiswert der Online-AU als erschüttert an, weil sie nicht den Anforderungen der AU-Richtlinie entsprach.
- Bewertung: Die Kammer wertete die AU-Vorlage als bewusste Täuschung und erschlichene Leistung mit möglicher Entgeltwirkung.
- Konsequenz: Eine Abmahnung war laut Gericht entbehrlich, der Vertrauensbruch wiegt schwer und rechtfertigt die außerordentliche Kündigung.

Online-Anbieter statt Arztkontakt
Der Arbeitnehmer war als IT-Consultant beschäftigt und meldete sich im August 2024 arbeitsunfähig. Statt eines klassischen Arztkontakts nutzte er einen Onlineanbieter, der ohne persönlichen Kontakt eine Bescheinigung über Arbeitsunfähigkeit ausstellte. Das vermeintliche Attest ähnelte dem gängigen Vordruck der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und suggerierte eine Fernuntersuchung, ohne dass eine echte Anamnese per Video oder Telefon stattgefunden hatte.
Reaktion des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber zweifelte die Echtheit und den Beweiswert der Bescheinigung des vom Beschäftigten als „Privatarzt per Telemedizin“ titulierten Ausstellers an. Nach interner Prüfung sowie Rückfragen zur Art der Begutachtung sprach das Unternehmen eine außerordentliche, fristlose Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen aus. Zur Begründung verwies der Arbeitgeber auf den Verdacht der Täuschung über das Vorliegen ärztlicher Feststellungen und die damit verbundene Entgeltrelevanz.
Erstinstanz und Berufung
Vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Dortmund setzte sich der Arbeitnehmer zunächst durch. Das Gericht hielt die Zweifel nicht für ausreichend belegt. Gegen dieses Urteil legte der Arbeitgeber Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hob die Entscheidung in seinem Urteil vom 05. September 2025 (Az.: 14 SLa 145/25) auf und stellte die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung fest.
Rechtlicher Maßstab
Die 14. Kammer des LAG verwies darauf, dass die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) eine ärztliche Untersuchung verlange. Diese sei in Präsenz möglich, ebenso per Video und in eng begrenzten Fällen auch telefonisch. Erforderlich wären Authentifizierung, Anamnese und eine tragfähige Befundgrundlage. Eine Online-AU ohne echten Arztkontakt genüge diesen Anforderungen nicht und erschüttere den Beweiswert.
In diesem Fall, so die Richter, hätte der Arbeitnehmer außerdem bewusst versucht, seinen Arbeitgeber zu täuschen, da ihm die entsprechende Website „unmissverständlich vor Augen geführt“ hätte, dass der Anbieter eine AU gegen Gebühr und ohne ärztliche Untersuchung ausstellen würde.
Bewertung der Bescheinigung
Laut Gericht erwecke die vorgelegte Online-AU den Eindruck eines ärztlichen Gesprächs, das tatsächlich nicht stattgefunden hätte. Sogar der Online-Anbieter selbst würde auf einen reduzierten Beweiswert des Attests im Falle eines Streitfalls vor Gericht hinweisen. Der pauschale Vortrag des Arbeitnehmers zu Symptomen und Medikamenten reiche nicht aus, um die Arbeitsunfähigkeit konkret zu belegen.
Folgen für das Vertrauensverhältnis
Im Urteil des LAG ist von einem erheblichen Vertrauensbruch die Rede, „da es sich bei den Abläufen zur Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit um einen Bereich handelt, in den die Beklagte als Arbeitgeberin grundsätzlich keinen Einblick hat“. Zudem wäre von dem arbeitsrechtlichen Verstoß die Entgeltfortzahlung betroffen. All das wiege schwer genug, um eine fristlose Kündigung auch ohne eine vorherige Abmahnung zu rechtfertigen.
Einordnung und Praxisfolgen
Die Entscheidung verdeutlicht die hohen Anforderungen an eine Tele-AU. Arbeitgeber dürfen den Beweiswert einer Online-Krankschreibung ohne Arztkontakt in Frage stellen, wenn die formalen und materiellen Anforderungen der AU-Richtlinie nicht eingehalten werden. Arbeitnehmer sollten bei Telemedizin strikt die Richtlinienvorgaben beachten, insbesondere echte Anamnese, Identitätsprüfung und die Beschränkungen für Erst- und Folgebescheinigungen.
In Kündigungssituationen bleibt die Darlegung der konkreten Leistungsunfähigkeit entscheidend. Reine Symptomlisten ohne belastbare medizinische Grundlage genügen nicht. Unternehmen sollten Prozesse zur Prüfung ungewöhnlicher Bescheinigungen definieren und dokumentieren.
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Stand: 10.11.2025
Quellen:
justiz.nrw.de
beck.de
g-ba.de

